HOCHFEST DER GEBURT DES HERRN *
MESSE AM TAGE: Jes 52, 7-10; aus Psalm 97; Hebr 1, 16; Joh 1, 1-18
Venedig, 25. Dezember 2008
1. ”denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt’ (Jes 9,5). ‘[Josef] wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln” (Lk 2, 5-6).
Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung: ‘Und das Wort ist Fleisch geworden’ (Joh 1, 14). Im Zentrum des größten und für die Geschichte entscheidenden Geheimnisses steht die elementare Erfahrung jedes Menschen: ein Ehepaar, eine schwangere Frau kurz vor der Niederkunft, eine Geburt, ein Neugeborenes, von seiner Mutter in Windeln gewickelt’ In der Heiligen Familie von Betlehem spiegelt sich jede Familie wider, denn dort kann jede Familie ihr ureigenstes Bild entdecken ‘ die feste eheliche Bindung: öffentlich, treu und offen für neues Leben zwischen Mann und Frau ‘ für immer, auch in den größten Konflikten und in der schmerzlichsten Prüfung.
2. Das uns der Ersten Lesung [‘ein Kind ist uns geboren‘ (Jes 9,5)] , das in der Zweiten [‘Er hat sich für uns hingegeben‘ (Tit 2,14)] anklingt und auch in der Verkündung an die Hirten im Lukas-Evangelium [‘Heute ist euch der Retter geboren‘ (Lk 2, 11)], wiederholt sich jeden Tag überall in der Welt, wo das eucharistische Opfer gefeiert wird, denn, wie die Väter sagten, ‘Er ist Mensch geworden, um sterben zu können‘ zu unserem Heil. Die Weihnachtsfreude braucht das Opfer nicht auszuschließen (morgen präsentiert uns die Kirche die Gestalt des Stephanus, des ersten Märtyrers). Eine vollkommene und reife Liebe trägt beide in sich, in einer untrennbaren Verbindung, was alle hier anwesenden Ehepaare oder Eltern bestätigen könnten. Die Liebe ist das Band zwischen Freude und Opfer. In der unaufhaltsamen Dynamik der Eucharistie wird uns dieses Kind fortwährend geschenkt, damit wahrer Friede entstehe. Nur dieser ist in der Lage, die Gewalt zu brechen, die immer wieder in den persönlichen und sozialen Beziehungen auftritt, unter den Menschen und unter den Völkern. ”Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers‘ (Jes 9, 4).
3. Während wir postmoderne Menschen uns anmaßen, Gott die Bedingungen seiner Offenbarung vorzuschreiben, nehmen die Hirten keinen Anstoß daran, den Heiland in einer Krippe zu finden. Wie Johannes der Täufer, wie die Jungfrau Maria, oder wie noch vorher Abraham und viele andere, sind sie arm vor Gott, Menschen, die ihre eigenen Ideen und Erwartungen zurückstecken, um dem ganz anderen, nämlich Gott, Platz zu machen. Dem, der immer alle unsere Gedanken und Erwartungen übersteigt.
Auf die Verkündung des Engels: ‘Friede bei den Menschen seiner Gnade‘ (Lk 2, 14), auf die überwältigende Entdeckung hin, von Gott geliebt zu sein, – ohne jedes Verdienst – , laufen die Hirten zum Stall. Diese Liebe, die sie erkannt und akzeptiert haben, macht sie zu guten Menschen (‘die Menschen, die guten Willens sind’ lautete die alte Übersetzung), und läßt sie dankbar darauf antworten. Die Liebe des Jesuskindes ist eine echte Liebe, die den Plan Gottes für jeden Menschen und für die gesamte menschliche Familie erhellt. Sie ist der Schlüssel zum Sinn der Geschichte, das einzige sichere Kriterium, um die außerordentlichen Erfolge von Technik und Wissenschaft zu nutzen, ohne Schaden zu nehmen. Aus dieser Liebe entspringt ein Engagement, im kirchlichen wie im zivilen Bereich, ein unaufhaltsames Engagement, denn sicherlich leitet Gott die Geschichte zum Wohl des Menschen: ‘Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt’ (Jes 52,7).
4. Für dieses Engagement gibt uns der hl. Paulus in der Lesung aus dem Brief an Titus, die wir eben gehört haben, Ursprung, Kennzeichen und das Endziel an: ‘Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu,’besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus‘ (Tit 2, 11-13). Die schon erschienene Gnade ‘ dieses Kind ‘ lehrt uns, unsere Beziehungen wahrhaft zu leben: unser Verhältnis zu Gott (fromm), zu den anderen (gerecht) und zu den Dingen (besonnen), in Erwartung der glorreichen Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeiten. Aus dieser Spannung zwischen dem schon Seiner Begleitung durch unser Leben und dem noch nicht Seiner Wiederkunft entsteht die echte moralische Handlungsweise. Also keineswegs die nachgiebige Passivität dessen, der sich einem absoluten Herrscher ausgeliefert fühlt, und auch nicht die Überheblichkeit, sich aufgrund der eigenen Werke zu retten, sondern der nicht zu bremsende Schwung desjenigen, der dank dieses Kindes sich in einer unlösbaren Beziehung zu einem liebenden Vater weiß. ‘Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein‘ (Hebr 1,5). Das ist die Perspektive, aus der heraus die gesamte Realität , die persönliche wie die soziale, bis hin zu ihrer weitesten, planetarischen Ausdehnung, gelebt werden kann. Alles, auch die epochale Wende, die uns durch die Wirtschafts- und Finanzkrise aufgezwungen ist, kann nur durch eine neue Auffassung der Globalisierung angegangen werden. Diese verlangt, dass alle Betroffenen, angefangen bei den Menschen der noch immer von Armut und Hunger gepeinigten Kontinente, in einen dauernden Dialog einbezogen werden, der auf eine gerechte Verteilung der materiellen und spirituellen Güter hinzielt. Nur aus dieser neuen solidarischen Globalisierung können neue Lebensstile entstehen. Sie beginnt bei unserem Nächsten. Angefangen bei den Verantwortlichen in der Regierung auf allen Ebenen, müssen wir uns alle einsetzen für diejenigen, die ihre Arbeit verlieren und oft ohne sozialen Rückhalt sind, für die Arbeitslosen insgesamt, für die Arbeiter ohne festen Vertrag und für alle, die in Not sind. Wie jede neue Entwicklungsphase wird auch diese hier dem reichen Norden des Planeten einige Opfer abverlangen. Aber nur durch die Ausübung einer global aufgegliederten Gerechtigkeit lassen sich echte Entwicklung und Friede in der Welt realisieren.
5. Dankbar und ergriffen stehen wir vor diesem Ereignis, das wir in dieser Heiligen Nacht wieder einmal betrachten durften, und wenden uns an das Kind und seine Mutter mit den Worten eines mittelalterlichen Abtes: ‘Gnädiger Herr, gnädige Herrin, da Er mein Herr ist, meine Barmherzigkeit, ist diese meine Herrin das Tor zur Barmherzigkeit. Die Mutter führe uns zum Sohn, der Sohn zum Vater, die Braut zum Bräutigam, denn Er ist Gott, gelobt in Ewigkeit’ (Dom Nicola di Chiaravalle, 12.Jht.).
* www.patriarcato.venezia.it