Omelia del 25 marzo 2021 del Patriarca IN LINGUA TEDESCA
25-03-2021

Hl. Messe am Festtag der Verkündigung des Herrn

sowie aus Anlaß der 1600 Jahre seit Gründung der Stadt Venedig

(Venedig/Basilika Kathedrale des hl.Markus, 25.März 2021)

Ansprache des Patriarchen Francesco Moraglia

 

 

Verehrter Herr Bürgermeister, verehrter Herr Präfekt, geschätzte Autoritäten! Ich danke dem offiziellen Ausschuß für die 1600 -Jahr-Feier der Gründung Venedigs, der das Gedenken an einen solchen Jahrestag mit diesem Gottesdienst eröffnen wollte, in der Basilika, die den Leib des Evangelisten Markus  bewahrt und mit dem gleichnamigen Platz das Sinnbild Venedigs in der Welt ist.

Mein besonderer Gruß gilt dem Metropoliten der orthodoxen Erzdiözese Italien und Malta, Policarpo, und Anba Giovanni, für Venedig Vertreter von Tawadros II., Papst der koptischen Kirche.

Venedig war schon immer eine Stadt der Begegnung und des Kultur-Austauschs, wo sich Personen, Kulturen und untereinander völlig verschiedene Religionen getroffen haben und gemeinsame Wege im Respekt der eigenen Identitäten gegangen sind. Das ist auch der Weg für die Gegenwart und die Zukunft.

Ich freue mich, daß heute mitten unter uns Jürgen Moltmann ist, einer der größten Theologen unserer Zeit. Er hat die Welt der reformierten Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt, und nicht nur jene Zeit. Professor Moltmann hat die Hoffnung  als den Schlüssel des Christentums bezeichnet: genau gesagt ist sie das in vollendeter Weise nur, wenn sie vom Kreuz Christi “gereinigt” ist. Die Forschung von Professor Moltmann hat sich in seinen Studien dem Thema der Schöpfung und deren Schutz sowie Energieproblemen zugewandt, Themen, die für die Stadt Venedig vital sind, zukunftweisend für die Stadt, die alle Voraussetzungen hat – Geschichte und Verbindung zum Ökosystem – , um als Bezugspunkt für eine nachhaltige Entwicklung zu dienen, nicht nur auf nationalem, sondern auch auf europäischem und internationalem Gebiet, und auch aufgrund der Anregungen von Papst Franziskus, besonders in seiner Enzyklika Laudato si’.

Wir leben in schwierigen Zeiten. Um eine ähnliche Situation zu finden, müssen wir auf die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zurückgehen.Wir leben in einer Zeit, in der wir echte Hoffnung brauchen, keinen falschen Ersatz. Wir haben die menschliche und christliche Hoffnung nötig wie die Luft zum Atmen.

Ich benutze hier einen Gedanken von Professor Moltmann, den ich für nützlich halte, um nicht in Pessimismus zu verfallen: “Die Hoffnung sieht die Dinge nicht so wie sie sich anbieten. sondern wie sie fortschreiten, sich bewegen, sich verändern, innerhalb ihrer Möglichkeiten.” (Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung -Teologia della Speranza, Brescia 1970, p.18).

Der heutige Tag führt uns mit dem Fest der  Verkündigung des Herrn Jesus zum Beginn des Ereignisses, oder wenn wir wollen, der christlichen Hoffnung. Das Evangelium hat uns eben daran erinnert.

Maria wird Mutter des Retters der Welt und an sie sind diese Worte gerichtet, die die Menschwerdung des Wortes “besiegeln”, und für immer die Geschichte begleiten und prägen: “…du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird in Ewigkeit …herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. “ (Lk 1,31-33).

Es ist kein Zufall, daß die “Geburt” oder der Anfang Venedigs auf ein so bedeutsames Fest gelegt wurde, und heute sagt uns der Kalender, daß seit jenem 25. März 421, der ideell als Gründungsdatum festgelegt wurde, 1600 Jahre vergangen sind.

Objektiv hat das Datum mehr symbolischen als historischen Charakter. Symbolisch heißt nicht mythisch, sondern ideell: Beweis eines großartigen Projekts  einer Stadt, die ihre Zukunft nicht nur auf menschliche, also vergängliche Fundamente “bauen” wollte, sondern in gewisser Weise auf darüber hinausgehende, die die Entwicklung und das tägliche Leben inspirieren sollten. Das sind die Wurzeln!

Seneca, Philosoph und Politiker, Zeitgenosse Jesu, behauptete: “ Es existiert kein günstiger Wind für einen Seemann, der nicht weiß, wohin er will”. Die Geschichte lehrt uns: Venedig hat schnell gelernt, nicht nur durch die Lagune, sondern auch aufs ferne offene Meer zu fahren, und die Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich boten oder die es sich verschaffte.

Venedig hat seine Ursprünge und seine Geschichte mit dem Ereignis verbinden wollen, auf dem der christliche Glaube gründet, und so hat die Stadt sich der Mutter Jesu, Maria, zugewandt, mit der sie ununterbrochen einen “direkten Draht” hatte.

Sichtbarer Beweis dafür ist die Basilika ‘Madonna della Salute’, die größte Marienkirche in Venedig. Sie steht da, wo der ‘Canal Grande’ und der ‘Canale della Giudecca’ zusammentreffen, gegenüber dem ‘Bacino di San Marco’.

Im Zentrum der Basilika, im Boden eingelassen, ist eine Inschrift, die darauf

hinweist:  “Unde origo inde salus”, d.h. von wo Venedig seinen Ursprung hat, von dort (Maria) kam auch seine Errettung. Und diese Kirche – das wissen wir – war gebaut worden und ist heute eine dauernde Erinnerung daran, daß die ‘Madonna della  Salute’ (Madonna der Gesundheit) vor fast vier Jahrhunderten Venedig vor der Pest gerettet hat, der Pest des Jahres 1630, von der Alessandro Manzoni in seinem Roman ‘Promessi Sposi’ (Die Verlobten) erzählt.

Das Bild der Verkündigung fndet man in Venedig sehr häufig in Kirchen und öffentlichen Gebäuden, Zeichen dafür, daß das bürgerliche Leben im Lauf der Jahrhunderte immer im Glauben die Rückbesinnung auf die christlichen Werte gefunden hat, die es sogar mit dem Mythos seiner Entstehung verbunden hat.

Ja, von Maria kommt die Rettung, und die wahre Rettung ist der Herr, der Heiland, das göttliche Kind, das sie zur Welt bringt und das der Engel ihr verkündet hat.

Die Ursprünge einer Stadt auf diese Weise festzulegen, sagt viel aus über die Beziehung von Glauben und Stadt, Glauben und Politik.

Wie wir wissen, verweist das Datum des 25. März 421 – so die Tradition – auf die ersten Ansiedlungen des heutigen Venedig auf einer Insel, die höher aus dem Wasser ragte als die anderen Inseln – deswegen Rivus Altus (Rialto) genannt –  und erinnert an den Bau einer Kirche an diesem Ort, die aktuelle Kirche ‘San Giacometto’. Es existiert dazu ein Dokument – das Chronicon Altinate (11.Jahrhundert) – , das ein interessantes Detail hinzufügt: jener Tag sei der Montag der Karwoche gewesen, und so ist die Verbindung mit dem christlichen Glauben noch stärker.

Daß sich Venedig am Anfang in gewisser Weise mit dem Bau einer Kirche “identifiziert”, sagt aus, daß die Stadt sich nicht als eine absolute Realtät verstanden hat. Im Gegenteil, es bedeutet, daß es etwas gibt, das “über” ihr steht, etwas, das “vorher” kommt und “nach”  ihr bleibt.

Die Politik erkennt also an, daß sie kein absoluter Wert ist, der den Menschen das Glück bringt. Die Anerkennung dieser Begrenzung qualifiziert sie zu einer “guten Politik”, denn sie besitzt den Sinn für die eigene Relativität.

Die Politik steht im Dienst des Menschen und darf sich dem Menschen nicht als absolute und totalisierende Macht gegenüberstellen. Falls sie das täte, würde sie nicht mehr dem entsprechen, was Poltik eigentlich ist.

Das ursprüngliche Ereignis, der Bau einer Kirche, läßt verstehen, wie die Dimensionen von Glauben und christlicher Hoffnung als öffentlich relevant anerkannt werden, und nicht der politischen Macht unterworfen. Das alles als Garantie für das Recht auf religiöse Freiheit, die ihrerseits der Schlüssel für alle anderen Freiheiten ist, denn sie hat mit der Suche des Menschen nach der vollkommenen Wahrheit zu tun. (vgl. 2.Vatikan-Konzil, Dignitatis humanae, n.3).

Neben der Gefahr, daß eine religiöse Macht eine konfessionelle Macht wird, gibt es auch die Gefahr einer politischen Macht, die verlangt, die religiöse Gemeinschaft auf dem Gebiet des Glaubens und der Hoffnung zu leiten.

Ja, wie Seneca sagt, “Es existiert kein günstiger Wind für einen Seemann, der nicht weiß, wohin er will”. Dem, der keine Erinnerung an seine Vergangenheit hat, scheint es, daß Gegenwart und Zukunft mit Schwierigkeiten oder gar nicht zu durchlaufen sind.

Für eine Stadt, die ihre Anfänge auf den Tag der Verkündigung setzt, wird die Ethik etwas Unabdingbares. Die “notwendigen” bürgerlichen Tugenden bilden das Fundament jeder wahren civitas.

Es sind dieselben Tugenden, die für den erhofften Wiederaufschwung nötig sind, und es sind christliche, menschliche und bürgerliche Tugenden: Gerechtigkeit, Stärke, Besonnenheit. Wie nie sind diese Tugenden heute für die Bürger unentbehrlich und besonders für denjenigen, der auf allen Gebieten – kulturell, sozial , administrativ, wirtschaftlich, politisch –  das Gemeinwohl fördern will.

Wenn in privaten Beziehungen eine Person unvorsichtig, ungerecht ist, wenn ihr Stärke und Besonnenheit fehlen, wenn ihr fundamentale moralische und bürgerliche Tugenden abgehen – um wieviel mehr würde eine solche Person destabilierend wirken, wenn sie als Garant des Gemeinwohls auftreten würde!

Über diese Tugenden nachzudenken, hilft uns, schwierige Momente, bürokratische und unbürokratische Verspätungen zu überwinden, die die Entscheidungen bei großen und kleinen Projekten endlos in die Länge ziehen,  die zum Wohl und für die Zukunft der Stadt getroffen werden müssen,  für ihre Einwohner, für alle, die dort arbeiten und sie besuchen.

Kommen wir noch einmal auf die Worte Senecas zurück: “Es existiert kein günstiger Wind für den Seemann, der nicht weiß,wohin er will.” Ja, es ist absolut notwendig zu wissen, wohin Venedig will.

Der Jahrestag der 1600 Jahre bietet sich uns für einen Neuanfang, damit die Stadt wieder aufleben und sich als bürgerliche Gemeinschaft (civitas) erneuern kann, ausgehend von ihren Werten, umgesetzt in den Rhythmus unserer Zeit.

Venedig ist aus dem Wasser geboren und lebt seit jeher auf dem Wasser. Wie schon gesagt, ist es ein universelles Bild des “Ökosystems” und muß sich als anerkanntes “Labor”  einbringen – auch auf internationalem Gebiet – , mit Mut und Weitblick den Herausforderungen der Zukunft begegnen: Klima, Umwelt, künstlerische Kreativität, eine nachhaltige Beziehung zu allem Geschaffenem, im Gedanken an die Überlegungen, die uns Papst Franziskus in den Enzykliken Laudato si’ und Fratelli tutti geboten hat.

Man muß sich der Einzigartigkeit Venedigs bewußt sein (nur seiner Schönheit, reicht nicht aus), das wieder “lebendig” werden muß, an allen Tagen bewohnt, gastfreundlich, mit geregeltem Leben, den Menschen angepasst, d.h. für Jung und Alt und die Familie.

Deshalb müssen sich die Generationen zusammenschließen, unsere und die zukünftigen. Wir  müssen den gerechten Geltungsdrang der jungen Leute anerkennen, die nicht bis in ihre mittleren Jahre in unsicheren Arbeitsverhältnissen leben sollten.

Denken wir an die Schule, und ganz allgemein an Bildung und Arbeit  als Bereiche, in die man im Gedanken an die Zukunft investieren muß. Dabei dürfen Kultur und Sozialwesen und besonders alles Schwache nicht vergessen werden, wie Covid 19 es uns  gezeigt hat.

Ein Vater und eine Mutter, die Kinder in die Welt setzen und aufziehen (die Familie), sind heute eine Hoffnung und ein echter Reichtum für unsere Zukunft und die der Gesellschaft, sie sorgen für die Folge der Generationen, sie sie sind ihre Zukunft. Verfolgen wir also entschlossen eine Politik der Unterstützung der Familie, auf allen Ebenen. Das ist keine übertriebene Hilfeleistung, sondern hier handelt es sich um den Sozialstaat und eine intelligente, weitblickende Investierung, auch auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung.

Ebenfalls ist es nötig, die Besonderheit unseres Territoriums deutlich hervorzuheben: von der Lagune zu den Küsten und bis zu den Bergen. An klaren Tagen, besonders im Winter, sieht man vom Glockenturm auf dem Markusplatz die schneebedeckten Dolomiten. All das zeugt von der Schönheit und den unendlichen Möglichkeiten unseres  Territoriums.

Venedig ist nicht nur die wunderbare Altstadt – deren funkelndes Sinnbild diese goldene Basilika ist – , sondern es hat unendlich viele Schätze, deren Schönheit heute mehr denn je zu erhalten ist: der Lido und die wunderschönen Inseln der Lagune, darunter Murano, Burano, Torcello, Mazzorbo, Sant’Erasmo, die ‘Vignole’, und dann das ganze Festland: Mestre, Marghera, die Küstenstreifen am Meer.

Venedig existiert auch in seinen unendlichen – mehr oder weniger bekannten –   kulturellen und künstlerischen Ausdrucksformen, nicht zu reden vom Agrar- und Nahrungsmittel-Sektor, sowie vom Weinbau und der Gastronomie.

Die Stadt muß sich jedoch entscheiden, ein “System”, ein “Netz” zu bilden, die Politik zur Verantwortung zu rufen, – ohne auf die Politik die Schulden abzuwälzen, die nicht ihre sind – , und andere eventuelle Verantwortliche da zu suchen, wo sie sind.

Ihre verschiedenen Komponenten müssen sich mehr untereinander austauschen. Als einzelne handeln schwächt die Position gegenüber anderen Territorien, die in der Lage sind, mit System und Netz zu agieren.

Die Zukunft Venedigs hängt auch vom Mut ab, diese Zukunft aufzubauen ohne je die eigenen Ursprünge zu vergessen, deren wir heute – mit diesem Gottesdienst – und das ganze folgende Jahr  hindurch gedenken wollen.

Die Worte Senecas – “Es existiert kein günstiger Wind für den Seemann, der nicht weiß, wohin er will” – gelten auch für die Venezianer von heute.

Das Gebet, mit dem wir diesen Gottesdienst eingeleitet haben unterstreicht das Ereignis, dessen wir heute gedenken – das Wort Gottes, das im Schoß Marias Mensch wird – und bittet darum, daß alle, die an Jesus, den Erlöser, glauben  – wahrer Gott und wahrer Mensch –  immer mehr “seiner göttlichen Natur teilhaft “ werden.

Lassen wir die göttlichen Spuren, die am Anfang jedes Menschenlebens sind, wieder auftauchen! Sie machen uns ‘menschlicher’. Und entdecken wir am Ende mit Freude die göttliche (christliche) Beziehung zu den Ursprüngen unserer Stadt, die heute ihrer Geburt gedenkt.

Setzen wir unser Vertrauen in die mütterliche Fürbitte der Madonna der Venezianer,  die ‘Madonna della Salute’.